Projektarbeit in der Reggio- Pädagogik

In der Reggio- Pädagogik hat die Projektarbeit einen zentralen Stellenwert. Sie dient der Entwicklung eines tiefen Selbstverständnisses und eines Verständnisses von der Welt.

Durch Projekte erhalten Kinder die Möglichkeit, ihrer Neugier zu folgen, Fragen zu stellen und sich aktiv mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Charakteristisch ist, dass Projekte oft aus Spiel- oder Alltagssituationen hervorgehen – beispielsweise aus einem plötzlichen Regenschauer, einem gefundenen Gegenstand oder einer spannenden Beobachtung im Außengelände.

Wichtig: Ein Projekt startet nicht, weil die pädagogische Fachkraft es vorgibt, sondern weil z.B. ein echtes Interesse oder eine Frage von dem einzelnen Kind oder einer Kindergruppe heraus entsteht.

Die Dauer eines Projekts ist flexibel – sie wird vom Kind/ der Kindergruppe definiert und kann von einer Stunde bis zu einem Jahr reichen. Teilnahme ist freiwillig: Kinder können selbst entscheiden, ob und wie lange sie teilnehmen. Auch Einzelprojekte nur mit einem Kind werden als Projekt angesehen. Die Teilnahme ist jederzeit offen – sowohl ein „Einstieg“ als auch ein „Ausstieg“ ist zu jedem Zeitpunkt erlaubt.

Beispiel:

Eine Gruppe entdeckt im Garten eine Ameisenstraße. Zunächst beobachten zwei Kinder die Ameisen, am nächsten Tag schließen sich weitere Kinder an. Einige bleiben wochenlang interessiert, andere schauen nur kurz vorbei und widmen sich dann wieder anderen Themen.

Die Aufgabe der pädagogischen Fachkraft ist nicht die eines klassischen Lehrenden, sondern die einer begleitenden, interessierten Forscher*in. Kernaufgaben:

  • Beobachten – Ausgangspunkt ist immer die genaue Beobachtung der Kinder, ihrer Fragen und Handlungen.
  • Wohlwollend begleiten – die Kinder sollen frei explorieren dürfen, ohne dass sofort Lösungen vorgegeben werden.
  • Impulse setzen – durch gezielte Fragen, Materialien oder Bilder kann die Fachkraft neue Denk- und Handlungsimpulse anregen.
  • Gespräche führen – nicht um Antworten zu liefern, sondern um Nachdenken zu fördern.
  • Vorbereitung und Organisation – Materialien besorgen, Expertenkontakte herstellen, Räume gestalten, ggf. Eltern oder Kolleg*innen einbinden.

Wichtige Haltung: „Es geht nicht darum, den Kindern die Antworten zu geben, sondern ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie selbst Antworten finden.“

Ein Projekt beginnt oft mit einer Frage oder Beobachtung, die neue Fragen nach sich zieht. Diese Kettenreaktion aus Neugier, Hypothesen, Ausprobieren und neuen Fragestellungen ist typisch für die Reggio-Arbeitsweise.

Beispiel:

Kind A fragt bei einem Regen:

„Wohin verschwindet das Wasser?“

Weitere Kinder überlegen:

„Vielleicht in die Erde?“ – „Vielleicht in den Kanal?“

Daraus entsteht eine gemeinsame Untersuchung: Sie gehen auf Entdeckungstour, graben Löcher, beobachten Pfützen, sprechen mit dem Hausmeister. Jeder neue Fund wirft erneut Fragen auf und vergrößert so den Kreis der Mitwirkenden.

In manchen Fällen wird ein Thema für die gesamte Einrichtung vorgeschlagen – etwa „Wasser“ oder „Licht“.
Jede Gruppe entscheidet dann selbst, wie sie das Thema mit den Kindern ausgestaltet:

  • Eine Gruppe baut Wasserläufe im Außenbereich
  • Eine andere forscht mit Lupen an Regentropfen
  • Eine dritte malt und gestaltet „Regenbilder“ mit Aquarellfarben

So entstehen unterschiedliche Perspektiven auf ein gemeinsames Kernthema, ohne dass die Kinder einem starren Plan folgen müssen.

Auch wenn Projekte von der kindlichen Neugier ausgehen, stützen und fördern pädagogische Fachkräfte diesen Prozess aktiv.
Sie „locken“ Fragen hervor – zum Beispiel durch:

  • Ungewöhnliche Materialien
  • Überraschende Situationen oder kleine „Provokationen“
  • Offene Fragestellungen ohne vorgegebene Antwort
  • Provokation im Reggio-Sinn

„Provokation“ bedeutet hier eine gezielte Herausforderung, um Denkprozesse anzustoßen. Das kann z. B. ein eingefrorener Eisblock mit einem Spielzeug darin sein, um Fragen wie „Wie befreien wir das?“ anzustoßen. Provokationen dürfen staunen lassen, verwundern oder irritieren – Hauptsache, sie regen die Kinder an, aktiv zu werden.

Auch wenn Projekte flexibel sind, braucht es ein Rahmenkonzept:

  • Was wollen wir erforschen?
  • Wie können alle Altersgruppen beteiligt werden?
  • Wie können auch zurückhaltendere Kinder integriert werden?
  • Welche Materialien brauchen wir?
  • Woher bekommen wir Fachwissen oder Unterstützung?
  • Wie dokumentieren wir den Prozess?

Hilfreich ist es, Schritte bewusst einzuplanen – aber auch Rückschritte und Pausen zuzulassen.

Praxis Tipp: Manchmal ist es sogar wichtig, sich erst einmal wieder vom Problem zu lösen und später mit neuen Hypothesen weiterzumachen.

In der Reggio- Pädagogik ist die Wanddokumentation ein zentrales Element. Sie dient nicht nur der Präsentation, sondern hilft auch den Kindern, ihren eigenen Lernweg zu reflektieren.
Durch Überschriften, Hervorhebungen und die gezielte Anordnung von Fotos, Zeichnungen und Zitaten („O-Töne“) können Fachkräfte den Kindern einen roten Faden sichtbar machen.

Beispiel für einen O-Ton:

„Vielleicht machen die Ameisen einen Tunnel, um sich vor dem Regen zu verstecken.“

Solche Aussagen zeigen Denkprozesse und sind wertvoll für die anschließende Reflexion.

In der Reggio- Pädagogik geschieht Lernen ko-konstruktivistisch:

Kinder und Erwachsene sind gemeinsam Forschende, die im Austausch Bedeutungen aushandeln.

Besonders wichtig ist die sprachliche Auseinandersetzung:

  • Kinder beschreiben, interpretieren und diskutieren ihre Entdeckungen.
  • Erwachsene hören zu, fragen nach und verbinden einzelne Gedanken zu einem größeren Ganzen

Ohne diesen sprachlichen Prozess wäre ein Projekt in der Reggio-Tradition nicht vollständig.

„Wo wohnt der Schatten?“ – Entdeckung von Licht- und Schattenphänomenen

„Das Geräusch im Baum“ – Auseinandersetzung mit Naturgeräuschen

„Der Duft der Farben“ – Experimentieren mit selbst hergestellten Naturfarben

„Wir bauen eine Stadt für Ameisen“ – Naturbeobachtung, Konstruktion, Kreativität